Session 3.

B: Also, das Grundprinzip ist dieses: Man muss als Dirigent das Stück ganz lernen, bevor man vor dem Orchester steht. Nur, schon Scherchen wusste nicht weiterzugehen. Er sagt, der Schüler muss sich acht Takte oder so nehmen, und alle Einzelheiten davon auswendig lernen. Das ist falsch. Der erste Schritt ist nicht, sich in alle Einzelheiten zu vertiefen, sondern in das Wesentliche. Das Wesentliche zu beherrschen und zu verfolgen. Aber was ist wesentlich in der Musik? Wesentlich ist, dass wir perzepieren die Musik, wir erleben die Musik nicht, wie sagt man, polyphonisch, sondern in einem Fluss. Also, bevor ich die Polyphonie beherrsche und die Harmonie, bevor ich vor dieser mehrzähligen Person, die das Orchester ist, stehe, muss ich zuerst ich selbst sein, im Stande sein, diesen Fluss, diese Quintessenz, dieses Wesentliche, das Subjekt, das das Melos trägt, zu beherrschen, und durch Körperbewegung und Gedächtnisbewegung, und alles, was zum Erlebnis gehört, so darzustellen, dass ich vom Anfang bis zum Ende das Stück fühle. Verstehst Du das Prinzip?

S: Ja

B: Das ist nur der Grund des Bergsteigens. Aber dieser Grund entscheidet alles. Wenn ich das gut mache, dann kann ich weitergehen. Also, dies ist nur die erste Station. Es gibt neun Stationen, nicht wahr. Aber diese erste Station ist sehr wichtig. Das ist die Arbeit mit sich selbst. Weiter geht die Arbeit mit dem Orchester und mit dem polyphonischen Material, um es zur Beherrschung alles dessen, was da steht, zu erziehen.

Dann, ich zeige, was ich beherrsche, und dadurch kann ich Kontakt mit dem Orchester haben. So verliere ich nie den Kontakt mit dem Orchester.

Weiter: wenn ich diese zweite Stufe prüfe, die ich absolviert habe, dann kann ich in Zusammenarbeit mit dem Orchester zur Interpretation kommen. Interpretation kommt zum Schluss, ist das Telos, das Ziel.

Nur kann ich dieses Ziel nicht erreichen, bis ich nicht mich selbst beherrsche, bis ich nicht die Verbindung mit dem Orchester habe. Da kommt die Zusammenarbeit, und das ist eigentlich die Probe mit dem Orchester. Aber diese Probe kann ich schon bei mir machen.

Also gebe ich Dir die Möglicheit, Stunden um Stunden bei Dir zu Hause zu arbeiten, ohne Orchester. Und um zu bestätigen, dass Du alles beherrschst, alle Sachen, die in der Arbeit mit dem Orchester kommen. Was kommt, hast Du schon geprobt, schon absolviert. Du hast das Prinzip verstanden.

Jetzt: ich wollte Dir sagen, dass ich Dir doch rate mit diesem Jugendorchester in Z zu arbeiten. Überall, wo Du die Möglichkeit hast, zu arbeiten, arbeite mit Orchester. Nur musst Du vorher schon meine Prinzipien anwenden.

S: Ja, das Prinzip habe ich verstanden, und kann jetzt vorwärts gehen.

B: Nein, das ist nicht so leicht.

S: Gewiss nicht.

B: Jetzt beginne ich wieder, diese ersten Stufe weiter zu erklären. Hier beginnt es. Dies ist eine Steigerung, aber als Spirale. Hier, 1., war die Formanalyse, hier, 2. ist die Melos-Analyse, das Subjekt als Melos. Nun muss ich eines sagen: alles, was es in der Wirklichkeit als Welt gibt, ist verdoppelt durch eine Verwirklichung in der Musik.

Constantin Bugeanu, Die kleine Spirale, ©joergbirhance.

Ich sage „Welt“: das ist für die Musik Form. Ich sage „Subjekt“: das ist für Musik Melos. Ich sage „Vorstellung“: das ist für das Subjekt Perzepieren.

Immer verdoppelt die Musik die Welt, die wirklichen Aktionen und die wirklichen Existenzen. Also, deshalb ist das Subjekt Melos. Und das Melos, habe ich Dir gesagt, muss man auch lernen. Das weiß man nicht. Man lernt Harmonielehre, Kontrapunktlehre, aber nie lernt man Melodielehre. Es ist aber am Anfang vielleicht viel wichtiger. Melodie ist nur ein Teil vom Melos, Melodie zeigt uns, wie sich das Melos als Form bildet. Die Melodie als Formbild des Melos. Also, wir müssen eine Melos-Analyse machen, das werde ich dir zeigen.

Und dann, habe ich Dir gesagt, ist der Körper der Träger des Melos. Nun kommt etwas: Melos kann ich beherrschen mit Solfège. Aber Solfège kann ich nicht immer mit allen Details brauchen. Muss ich schreiben, was jemand spricht, muss ich Steno schreiben. Also, es gibt auch ein Steno-Solfège, ich zeige Dir, wie das ist.

Nehmen wir das Finale, Mozart 39. Also, wenn ich das Melos nehme, da sind so viele Noten, die ich nicht einmal sprechen kann. Und noch dazu, diese instrumentale Linie ist eigentlich nur ein Seitensatz (Erscheinung) einer vokalen Linie. Also, das Wesentliche der instrumentalen Musik ist der Gesang. Die instrumentale Musik ist nur ein Licht vom Licht der Sonne, so wie das Mondlicht. Das heißt, ich muss immer den Ursprung der instrumentalen Musik finden, der liegt im Gesang; also muss ich en Prinzip finden, dieses instrumentale mit Ornamenten usw. in einen Gesang umzuändern.

Also, das Steno-Solfège, das ist Gesang. Das geht nicht sehr einfach, ich muss einige Prinzipien kennen. Welche sind das? Zuerst im Gesang: ich kann nicht viele Ornamente haben, alles, was klein ist, muss ich in einen Ton wandeln, der den innerlichen Gesang vorstellt. Hier im Finale: Ich kann die kleinen Passagenoten reduzieren auf die wirklichen Töne, die harmonisch gebildet sind, und davon mache ich einen abstrahierten Ur-Rhythmus. Das gibt mir viel mehr als das andere, da sehe ich nicht den Wald vor lauter Bäumen. Aber so (singt) kann ich vorstellen, was kommt. Also weg von den Passagenoten, weg von harmoniefremden Noten. Die Musik kommt als Welle, ich wähle die oberen und unteren Töne etc. Am Ende muss ich etwas beherrschen das ich gesanglich zeigen kann. Siehst Du, das hat einen Sinn. Das ist Ursprung, nicht wahr.

Constantin Bugeanu Audio: Mozart 39, 4. Satz Thema ©joergbirhance

Nun; dieses Dreieck ist gestützt auf Solfeggio und Melos. Und das gibt mir die Möglichkeit, mich als Subjekt zu zeigen. Jetzt kommt wieder etwas sehr Interessantes: diese Steigerungs-Spirale, im Grunde ist es diese Achse: mein Ziel ist es, die Bewegung zu beherrschen. Denn, die Musik ist Bewegung, Dirigieren ist Bewegung, und Musikdenken ist auch Bewegung, nämlich Bewegung der Gedanken.

Also, ich als Dirigent kann die Musik beherrschen, wenn ich diese Bewegungen zusammenbringe. Die Musik – die Gedanken als einheitliche Bewegung und meine körperlichen Bewegungen. Das geschieht hier. Bewegung kann ich aber nur beherrschen, wenn ich sie in Zeit und Raum fixiere; also: um zu fixieren, brauche ich Zeit und Raum. In der Zeit kann ich als Melos, als Steno-Solfège folgen, und weiter werden wir sehen, was kommt.

Und jetzt im Raum kommt alles, was da ist; und noch dazu die Musik, unsere symphonische Musik, geschieht in der Zeit, und auch im Raum. Auch die Harmonie ist Raum, auch die Instrumente sind Raum, usw. Jetzt aber das Wichtigste für den Dirigenten, das ist Zeit und Raum im Zusammenhang, als Koppelung. Als Bewegungskoppelung. Und das kann ich durch die Gestik, Einsätze, Nuancen geben, alles, was mich mit den anderen verbindet. Das ist eine Koppelung von Zeit und Raum in Bewegung.

Das ist sehr wichtig für Dirigenten, das ist ein Hauptgesetz: er muss immer in Verbindung sein, in Bewegung. Dann muss er vorstellen, was im Gehör ist, er muss das Gehör erziehen, das ist die Beherrschung der Materie. Ich muss es innerlich singen und sofort bemerken, ob es richtig oder falsch ist, oder nicht. Das ist der zweite Stock.

Jetzt kommt der dritte Stock: Bei Celibidache hast Du dieses Prinzip gelernt von Proportion. Aber ich muss sagen, dass Celibidache es für sich weiß, aber es den Schülern nicht erklärt, das ist nicht genügend. Das ist zu eng. Also, das Prinzip der Proportion ist richtig, die rhythmische Proportion, das ist richtig. Der Dirigent schlägt aber nicht den Rhythmus, er schlägt Takte. Nun, er hat die Möglichkeit, in einer Takteinheit den Rhythmus zu imponieren, als Energie – Bewegung überträgt man durch Energie. Und hier komme ich zur Rhythmusproportion. Ich schlage, und am Ende zeige ich, dass ich die Rhythmusproportion beherrsche. Nur ist es nicht nur das. Proportion erweitert sich über das Ganze, was Zeit im Menschen ist. Zeit in Musik ist Tempo, dann haben wir auch Metrik/Takt, und dann haben wir den Rhythmus. Das sind alle Möglichkeiten der Zeit in der Musik, man zeigt sie durch Tempo, Takt und Rhythmus.

Nun, was ist Tempo im Ganzen? Was entscheidet über den Fluss: das Tempo. Jetzt sage ich: wir schlagen nicht Takteinheiten, Taktschlag ist zuerst Atmen, ist Puls und Taktverbindung.

Also, Tempo, das ist eine Grunderfahrung darüber, wie schnell oder langsam dieses Nebeneinander von Takteinheiten geht. Das ist Tempo. Tempo ist wichtig, mit Rhythmus kann ich nicht beginnen. Viel wichtiger ist das Tempo; wozu gebe ich so viel Aufmerksamkeit an den Rhythmus, und keine an das Tempo? Nun also, ich beginne diese Zeitarbeit nicht durch Rhythmus, sondern durch Tempo. Zuerst – was Melos ist, das gibt mir das Tempo, das Melos ist entscheidend, und dann kommt etwas sehr Wichtiges: die Taktgruppen. Das heißt, die Takte sind nicht unabhägig, sie ergeben Einheiten. Ich erreiche diese Theorie der Proportionen durch dieses Dreieck der Musikzeit. Jetzt kann ich: (singt). Durch den Schlag gebe ich nicht nur diesen metrischen Takt, ich gebe die Weiterführung der Energie. Jetzt habe ich Dir die erste Station erklärt. Acht ist Taktgruppen- und neun ist Rhythmusproportion.

Also, jetzt arbeitest Du nicht blind, sondern Du weißt die Arbeit zu führen.

Jetzt muss ich Dir noch etwas zeigen: was eigentlich die Melos-Analyse ist. Schon die alten Griechen haben gesagt, dass Musik einen doppelten Ursprung hat. Die haben gesagt: Rhythmus und Harmonie, aber Harmonie nicht in unserem Sinne gemeint. Für die Griechen war Harmonie der Tonraum, und Synthese. These war Rhythmus, Antithese war Tonraum, und Synthese war die Melodie. Also, wenn ich eine Analyse mache, sagen wir von Mozart, 1. Satz, das Allegrothema, da bemerke ich: es gibt einige Intervalle, die nicht melodisch sind, sondern harmonisch. Ich habe diese Synthese, die Melodie, in den beiden Ursprüngen der Melodie, in Rhythmus und Harmonie. Das ist eigentlich Tonraum, und das ist eigentlich die musikalische Analyse.

Constantin Bugeanu, Melos-Analyse Mozart 39, 1. Satz ©joergbirhance

Eigentlich kann ein Dirigent nicht sein, wenn er nicht beweist, dass er ein guter Musiker ist. Und ein guter Musiker kann nicht sagen, das kommt von Gott oder weiß nicht woher, aus der Natur. Er muss immer daran arbeiten, prüfen und beweisen, dass seine Musikalität sich zeigt. Das ist eine Musikalitätsentwicklung, die er zeigen muss durch Arbeit und Analyse.

Gut, jetzt gehen wir kopieren. Ich zeige Dir wie Du das lesen kannst. Hier sind die Takte, in der ersten Kolumne kommt das Revers (?). Die Form hat eine große Einteilung, oder Untereinteilung im Kleinen, d.h. ich gehe von der großen Einteilung in die kleine. So kann ich immer sagen und zeigen, wie sich jede Kleinigkeit auf das Große bezieht, und wie sich das Große in das Kleine teilt.

Im Großen ist das hier eine Einleitung, 25 Takte, weil im 26. Takt kommt eine Lösung. Hier (singt) ist schon der erste Takt im Allegro, deswegen schreibe ich das so mit einem halben Ring. Weiter: es gibt diese 25 Takte, das hat zwei Teile, 13 und 13, und hier steht die Tonalität. Das heißt Suitenform, das geht von der Tonika zur Dominante und von der Domnante zur Tonika. Jetzt: Vordersatz und Nachsatz, und da noch mal, weiter: Vordersatz hat acht Takte, das ist viermal Ritmo di due, also dreimal dasselbe, dies ist eine Ausnahme von der Barform, statt zwei Stollen gibt es auch drei Stollen, also drei plus drei plus zwei plus Abgesang, davon weiß ich nun schon die Form. Weiter: Nachsatz, das ist ein Takt plus vier, also B mit Progression über Orgelpunkt B. Dann kommt die zweite Hälfte, von B wieder zu Es. Wieder so wie es war, und Nachsatz fünf Takte mit Ring.

Interessant, nicht wahr?

Constantin Bugeanu, Form-Analyse Mozart 39, 1. Satz ©joergbirhance

S: Oh ja. Als Dirigent ist man ja eigentlich jemand, der den Überblick haben sollte, und das ist genau das.

B: Ja, das ist Überblick. Ich kann in einem einfachen Denken verfolgen, was wichtig ist. Dadurch. Und noch dazu: schon besitze ich, was wichtig ist. Ich besitze schon das Ganze, obwohl ich nicht jede Einzelheit genau weiß. Und jetzt: wie ist das, der Hauptsatz mit 117 Takten mit Wiederholung. Exposition 1. Thema, 45 Takte, da der erste Stollen mit VS (4) und NS (4) und dem Abgesang von sechs Takten. jetzt, der zweite Stollen, 14 identisch, dann der Abgesang: Aufgesang (5), das ist 3+2 Takte, und dann zwei Nachstollen als 5+5, jetzt die Überleitung, und das 1. Thema ist aus. Wie ist das: eine 1. Idee mit sechs mal Ritmo di due, es sind drei Strophen, da siehst Du die Harmonien, dann die Coda-Wirkung, die 2. Idee wieder als 4 mal R“, und hier eine Lösung. (Singt). Das kann als Schluss wirken, oder als Eröffnung. Was kommt: das 2. Thema mit 22 Takten, da ist eine 1. Idee, wieder als Bar, und die 2. idee, eigentlich so – (singt).

Im ersten Thema machst Du Steno-Solfège, das brauchst Du nicht alles zu singen, nur, wie sagt man: was angenehm ist. Dann wieder: hier ist es vier plus vier, usw.

Hier kommt das 3. Thema, als Gegenbar, ist die Coda, ein Bar.

S: Ist das 3. Thema hier ein eigenständiges Thema?

B: Ja, drei Themen. In der zweiten Themengruppe sind für gewöhnlich zwei Themen, dasselbe Thema, aber zwei Themen.

Weiter: nie gibt es eine Durchführung ohne Form in der Musik. Das muss ich immer entdecken; hier wie ist das:

Der Mittelsatz hat 41 Takte und beginnt mit einer Einleitung, und hier beginnt die eigentliche Durchführung, das siehst Du dann, das hast Du schon verstanden.

Nun, hier, zwischen dem 1. und 2. Nachstollen kommt eine Scheidung. Das ist ein Land, das niemandem gehört, in Takt 168; nun weißt Du, wie Du das benutzen kannst, jetzt hast Du ein Beispiel.

Nun, was kann ich Dir in fünf Minuten noch zeigen? Also, die Einleitung. Das ist schwer. In wieviel schlägst Du das?

S: in Acht.

B: in Acht, nicht wahr. Und als Auftakt, was gibst Du? Eine Achtel, ja. Aber, um zu sehen, dass es eine Achtel ist, mache ich eine 4, und „und“. So sieht man, dass es eine Unterteilung ist. Schlag einmal: nicht stumm, etwas Erlebtes! Mach das laut.

Nie stumm, mache f, h, c, das ist zwar nicht schön aber: Singen! Das gibt Dir Inhalt. Nie beherrschst Du das sonst. Du musst das Solfège lernen, das ist nicht schwer. Mein Solfège ist für intelligente Leute. Intelligenz muss man auch üben. (Singt).

S: Ich habe jetzt auch gesehen, wie die Vokale bei der Chromatik im Unterschied zur Diatonik eingesetzt werden.

B: Siehst Du, da hast Du einen Tonartensinn. So kannst Du leicht Schönberg beherrschen, durch das Solfège. Ich will Dich nicht überzeugen, dass meines das Beste ist, aber es ist so. Von Toscanini weiß man, dass er alles mit Solfeggio gelernt hat, nur sagte er: „Questa musica moderna non mi entra nella pelle.“ Ja, weil er kein geeignetes Solfège besessen hat. Als ich das gefunden hatte, z.B. für Bartok, das ich nie vorher beherrschen konnte, aber mit dem Solfège konnte ich es sofort beherrschen. Es kam einmal ein Dirigent her, ein Ungar, der hatte das Konzert für Orchester hundertmal dirigiert, und nie konnte er sich von der Partitur lösen. Ich habe mich jetzt schon von der Partitur gelöst.

S: und wenn ich sie nicht mehr brauche, dann habe ich die Freiheit…

B: Ja, dann zeigst Du Dich als eigentlicher Träger der Wirklichkeit. Das geht sehr weit. Jetzt gehen wir kopieren. Bist Du zufrieden?

S: Ja.

B: Ja, ja oder JA!? (Lacht)

S: JA!!

B: Siehst Du, es gibt einen Weg. Ich kann Ordnung hineinbringen. Wenn ich Ordnung im Kopf habe, kommt auch Ordnung in den Arm.

S: Vieles erscheint mir gerade sehr dilettantisch. Man arbeitet so vor sich hin, man bekommt es irgendwie zusammen, aber es ist nicht wirklich gearbeitet. Aber das ist nicht mal das Wesentliche, es ist auch nicht ehrlich.

B: Ja. So ist das.

Session 2.2.

B: Ich kann der Musik im Fluss folgen, und ich kann es beherrschen. Ich muss nicht die ganze Musik beherrschen, weil: sie kristallisiert sich als Schicht, die dieses Melos umfasst. Also, wenn ich dieses Melos-Subjetkt besitze, besitze ich noch nicht das Ganze, aber ich habe die Möglichkeit, weiterzugehen.

Also, jetzt muss ich, um weiterzugehen, entdecken, was eigentlich das Subjekt als Eigenes im Menschen vorstellt. Also: meine Eigenes ist (singt etwas) das ist nicht wichtig. Wichtig ist: …. Ich lasse Details beiseite, alles Harmonische, und besitze, und reproduziere nur, was mein Eigenes ist (singt weiter). Dies – singt – oder das – singt – wenn Du willst. Und so weiter.

Das heißt, jetzt muss ich von vorne, von der Form geführt, meinen Melos-Weg finden. Diesen Melos-Weg muss ich singen können. Also nicht nur Melos, sondern auch singen. Ich muss mir selbst dieses Melos korrepetieren, bis ich es beherrsche. Also Autokorrepetition. Und jetzt, wenn ich das korrepetiere, dann muss ich die Noten nennen. Ich habe ein neues Solfège. Willst Du, dass ich es Dir zeige?

S: Ja, sehr gerne.

B: Es ist eigentlich so: Ich nehme c-d-e-f-g-a-h und do-re-mi-fa-sol-la-si. Davon nehme ich die Konsonanten d-r-m-f-g (da ich sonst zwei „s“ habe), l und s. Jetzt kommt etwas Neues: In meinem Solfège kann der Vokal sich ändern. Ich brauche 35 Tonnamen. Warum? Weil es gibt für jeden Ton mit #, b, ## und bb fünf verschiedene Zustände, und sieben mal fünf ist 35. Eigentlich brauche ich nur fünf Vokale. Weil, bei den diatonischen Halbtönen nehme ich denselben Vokal. Fünf Vokale, das ist genau a-e-i-o-u. Jetzt beginne ich.

Skizze des Solfeggio von Constantin Bugeanu, von ihm selber angefertigt, 1996 ©joergbirhance

Da-re-mi-fi-go-lu-sa-da. Ich sage nun: nicht lernen. Singen! Nimm den Bolero, das kennt jedes Kind.

Constantin Bugeanu Audio: Bolero ©joergbirhance

Es gibt viele Dirigenten, die das dirigieren. Durch Singen aber besitzen sie es nicht. Die warten, dass das Orchester singt. Aber als Dirigent muss ich im Stande sein zu singen. Also, singen, das ist notwendig.

Weil: sonst kann ich mich nicht als Subjekt äußern, als der, der diesen Fluss beherrscht. Hast Du das verstanden?

S: Ja.

B: Das muss Du lernen. Jetzt, wie mache ich bei #?

S: Die Konsonanten bleiben dieselben.

B: Ja, die sind wie Brüder. F geht zu go und heißt jetzt fo. Wieder ein diatonischer Halbton.

Constantin Bugeanu Audio: Haydn Paukenschlag-Thema ©joergbirhance

Jedes Kind versteht das!

Und so weiter. Interessant nicht? Das gibt Dir die Möglichkeit, auch die schwierigsten Stellen schnell zu lernen. Schönberg, Bártok, Prokoffiev, das geht so wie Wasser.

Da kannst Du singen, und das ist so schön! Immer kann man singen.

Weiter, jetzt die b’s: du-ra-me-fe-gi-lo-su, siehst Du, dann die Doppel-# und Doppel-b.

Jetzt musst Du lernen, hier, bei Mozart Es-Dur ist es schwer, aber auch nicht so schwer: (Singt) Das ist so schön. Jetzt hast Du das Prinzip des Solfège. Wie gehe ich nun weiter?

Durch Handbewegung, als erste Prüfung der Bewegung meines Körpers. So: Bewegung der Musik – Bewegung der Gedanken – Bewegung des Körpers. Das heißt, es gibt Bewegung im Großen, Bewegung der Gedanken und Bewegung des Körpers.

Gedanken, das ist Rhythmus (im Sinne der geistigen Kraft der Bewegung), das ist Zeitgeschehen. Körper, das ist Raumgeschehen. Nur, im Raum, da gibt es nur geometrische Bewegung. In die Raumbewegung präge ich den Energieverlauf ein. Das heißt, ich dirigiere nicht: 1-2-3 etc., sondern (singt 1. Thema Es-Dur Symphonie mit Phrasierung): so mache ich aus vier Takten eine Takteinheit. Also, ich kann dann aus der Logik der Armbewegung schon die Logik der Bewegung sehen.

Das ist Raum, das ist Zeit; Raum und Zeit sind Fixierungen der Bewegung. Also, im Raum kann ich zeigen (singt und dirigiert Mozart 1. Th Symph 39):

Constantin Bugeanu: Skizze der Dirigierbewegung Mozart Symphonie 39, 1. Satz, Beginn Allegro, T. 26-39
Constantin Bugeanu: Skizze der Form Mozart Symphonie 39, 1. Satz, Beginn Allegro, T. 26-39

Im Raum geschieht durch meine Bewegung – beschreibe ich, nein, übersetze ich in Raumbewegungen, was in der Musikbewegung klingt. Das ist schon etwas sehr Interessantes, nicht wahr? Jetzt hast Du gesehen, dass die Takte nicht gleich sind, sondern sich nach Spannung ordnen. Ich mache Spannungen. Und um Spannungen zu beherrschen, muss ich nicht verkrampft sein. Der Körper muss frei sein vom ganzen Krampf, von allem was stört.

Ich muss also jetzt Übungen machen, damit meine Bewegungen frei von Spannungen sind. ich mache Spannungen, aber in Freiheit der Körperbewegung. Also, ich muss lernen, wie ich meinen Körper üben kann. Mit einem gespannten Arm spüre ich nichts. Das ist zu viel Kraft. Und noch dazu, niemand weiß, wo ich fühle. Aber, wenn es fällt, frei, dann weiß ich und der andere, was kommt. Denn (sehr leise und langsam), die höchste Sache des Dirigenten ist es, etwas in der Zeit früher zu geben als es geschieht. Wenn ich so mache, dann weiß ich schon, was kommt.

S: Der Auftakt.

B: Ja. So sieht man: gleich kommt die Eins. Ich mache die Eins, aber ich weiß, es kommt die Zwei, aber wenn ich so mache, verstehst Du – lacht – das geht nicht.

Ich muss zuerst frei sein. Dann kann ich beobachten, wie der Arm fällt.

Und jetzt, dieses fällt vom Menschen aus, und bezieht sich auf etwas: Das Wichtigste unseres menschlichen Lebens ist die Erde.

S. Die Schwerkraft.

B: Die Erde. Es fällt, aber es fällt zur Erde. Dieses Fallen zur Erde und Freilassen, sich freimachen von der Erde, das ist das größte Gesetz unserer Körperbewegungen. Ich beobachte: Es fällt. Und, was muss ich machen, um diesen Fall zu einem Ende zu bringen? Als Menschen halten wir uns in Beziehung zur Erde. Das heißt für den Arm, dass er so parallel zur Erde ist. Und, wenn er fällt, geht es nicht weiter, irgendwo ist es fertig. Und das muss frei sein. So. Ja, bravo. Hast Du irgendwo gelernt?

S: ein bisschen, ja.

B: Wo?

S: Ich habe bei Celibidache gelernt.

B: Das ist gut. Proportionen hast Du auch gelernt?

S: Habe ich auch gelernt, ja.

B: Jetzt muss ich auch den Taktschlag lernen . Celibidache macht: (schlägt ein Kreuz). Ich mache das auch.

S: Dass der Punkt, auf dem die Bewegung wendet, nicht auf derselben….

B: Das ist falsch bei Celibidache. Einen Punkt gibt es nicht.

S: Ah, ja…

B: Warum? Ich beginne hier…

S: das ist wie in der Zeit, da gibt es keinen Punkt?

B: Ja, es gibt hier keinen Punkt. Es gibt einen Anfangspunkt, wie sagt man, das ist so ein Kompromisspunkt. Wir akzeptieren so einen Punkt, ja, das beginnt hier, aber das (markiert extreme Punkte im Raum) ist auch falsch.

Was Du bei Celibidache gelernt hast, ist für den Anfang gut. Aber jetzt, es ist nicht genügend, nur das, den Schlag zu üben, das ist abstrakt. Jetzt müssen wir das mit Musik machen. Die Verbindung zur Musik, das gehört hier her (zeigt auf die Sprialskizze).

Bleiben wir also hierbei – ist es interessant?

S: Ja, sehr, wirklich sehr. Es ist für mich irgendwie unbeschreiblich.

B: Schaust Du, meine Methode ist nicht weit von Celibidache. Wir sind so wie Brüder. Seins ist auch phänomenologisch, nur ich mache es viel systematischer. Bei Celibidache bleibt irgendwie…

S: im Raum…

B: Ja. Und ich beschäftige mich, und es ist für mich sehr wichtig, dass jeder versteht und auf seine Weise es macht. Also, nehmen wir jetzt wieder diese Einleitung. Machen wir die Form.

Also, zuerst haben wir gesagt, es gibt diese zwei Vorformen. Warum „Vor-„? Weil, das sind eigentlich nicht Einheiten von Musik. Das ist Strophenbau, da ist die 1. Strophe, die 2. Strophe, die 3. Strophe, und so weiter. Das kommt aber unendlich. Nie ist es zu Ende. Wir können ein Ende setzen, aber das ist kein musikalisches Ende. Und es gibt, wie heißt das, Ketten, 1. Abschnitt, 2. Abschnitt, etc.

Jetzt kommen die musikalischen Grundformen. Habe ich Dir schon gesagt, zuerst Bar-Form: 1. Stollen, 2. Stollen und Abgesang. Oder. Gegenbar: Aufgesang, 1. Nachstollen und 2. Nachstollen. Und Bogen, das ist da-capo. Hauptsatz, Mittelsatz und Hauptsatz-Reprise.

S: Der Sonatensatz, ist das eine Bogenform?

B: Die Form; die Menschheit hat die musikalische Form, also eigentlich die unabhängige Form erst im Barock, dann hat die Musik sich als instrumentale Musik entwickelt, zu Tanz, zu Drama, und so weiter, nicht wahr. Also, im Barock hat man die unabhängige musikalische Form entdeckt. Die Musik des Barock kann man durch die Grundformen und unabhängigen Formen, wie sagt man, beherrschen. Dies war aber irgendwie statisch, die konnte keine dramatische Bewegung verkörpern. Dann hat sich die Sonatenform entwickelt. Das ist eigentlich die beste, und das ist eigentlich nicht eine Form, sondern eine historische Entwicklung. Die Sonatenform ist die eigenste Form für Musik. Das ist aber in Verbindung mit Drama, als musikalisch-dramatische Form.

S: Wegen der Kontraste im ersten Teil.

B: Ja, nicht nur deswegen. Sondern man kann der Entwicklung der dramatischen Bewegung folgen, der psychischen usw. Das zeigt sich sofort. Im Barock, das war ein Zeitalter des Dramas. Die Oper im Barock, das ist gar nicht eine Musikform, das ist eine statische Form. Nur durch die Sonatenform konnte die Oper als seelisch-dramatische Entwicklung weitergehen. Man kann sagen, Sonate, das ist als wäre es eine Form, mit Hauptsatz, Mittelsatz und Hauptsatzreprise, aber sie hat sie neu gestaltet. Wir gehen weiter und sprechen im Verlauf weiter – über die Sonatenform muss man immer weiter sprechen. Weil nach dem Barock, ab 1750, da hat sie sich mit den Bach-Söhnen entwickelt, Mannheim, und dann die wienerische Schule, und es findet weiter eine ständige Entwicklung der Sonatenform statt. Aber gehen wir weiter, um zu sehen, wie diese Grundformen sind. Wir können von diesem hier die komplexe Form ableiten. Hier ist ein Bar, und sein Abgesang ist wieder ein Bar, untergeordnet. Wenn wir weitergehen von Bar und Bogen, schließt der Bogen auf untergeordeter Ebene einen Bar ein, usw. Es gibt auch fünfteilige Bogen, Hs1, Ms1, Hs2, Ms2, Hs3.

S: Das ist dann keine Hauptsatz-Reprise?

B: Das sind alles Reprisen. Aber, sagen wir Bruckner, dieser 2. Satz von der 5. Symphonie, siehst Du. Eigentlich hier im 2. Satz ist es so: Hs1, Ms1, Hs2, Ms2, Hs3 und dann noch eine Coda. Nur, das sind Variationen, aber das hier, das ist die Krönung. Also ist es eigentlich wieder ein Bar, Hs1 und Ms1 1. Stollen, Hs2 und Ms2 ist 2. Stollen, und der Rest ist Abgesang.

Diese Gesetze habe ich auf die ganze musikalische Literatur erweitert. Hier habe ich über 300 Analysen, sagen wir, seit Corelli. Das ist eine großer Gewinn für uns. Ich habe Dir gestern gezeigt, ich habe von Kindheit an nicht ein großes Gedächtnis. Ich brauche es nicht. Warum? Mein Gedächtnis, meine Mächte, haben eine Stütze.

Nun, diese wenigen Formen heißen archetypische Formen, Urformen der Bewegung. Alle Bewegungen stützen sich auf diese einige Urformen.

Session 2

Im Juni 1996

B: Nun zur Form. Der Entdecker ist ein Deutscher, ein großer Musikwissenschaftler und auch Dirigent, Alfred Lorenz. Er hat das in den Opern von Richard Wagner entdeckt. Also, die Prinzipien, aber er hat sie nicht erweitert. Ich habe diese Prinzipien über die ganze symphonische Musik erweitert. Und ich habe entdeckt dass diese Prinzipien, bzw. erneuert, dass diese Prinzipien für die ganze Musik gültig sind. Sie sind eigentlich das Wesentliche der Logik der Musik. Das heißt: Ich halte eine Analyse, die nur beschreibt, für nicht wertvoll. Sinnlos, aber sehr oft gemacht. Schaue Markevic, seine Bücher über die Beethoven Symphonien. Er macht sehr ordentliche Analysen, nur es fehlt das Wesentliche. Was glaubst Du, ist das Wesentliche?

S: Ich glaube, die Verbindung zwischen den Teilen.

B: Was meinst Du mit den Teilen?

S: Zum Beispiel, wie wir es das letzte Mal besprochen haben. Ich habe ein Element A und ein Element A in einer anderen Tonart, und dann noch mal, dann ein Element B, aber dann ist das Wesentliche, glaube ich, die Verbindung, wie diese Teile –

B: – sich zeitlich verbinden zu einer energetischen Kraft.

S: Ja, und…

B: Das heißt, nicht nur die Musik, die da ist, Musik kommt mit einer Kraft, die uns zwingt, weiterzugehen. Das ist die energetische Kraft. Und das macht das Wesen der musikalischen Logik. Und, diese musikalische Logik ist nicht die aristotelische Logik, die gewöhnliche. Die ist eine Logik für Bewegung. Weil Musik in erster Linie Bewegung ist.

Also, Bewegung können wir nicht halten, nicht, wir können nur durch Bewegung eine andere Bewegung übersetzen, aber wir können das Wesentliche der musikalischen Bewegung bestimmen und etwas finden, das gültig und äquivalent für diese energetische Bewegung ist. Und jetzt: das Wesentliche ist dies: die Bewegung drängt immer darauf, weiterzugehen. Da sind ewige Gesetze der Bewegung, welche? Das wissen wir!

Erstens, die Wiederholung – jetzt müssen wir sagen: um das Wesentliche der Bewegung zu beherrschen, müssen wir um die Präsenz kämpfen.

S: Dass sich die Präsenz zeigt als Verbindung zwischen Vergangenem und Zukünftigem.

B: Das ist nicht nur ein Punkt, sondern eine Strecke, eine Präsenzstrecke.

S: Die vom Vergangenen zur Zukunft führt.

B: Ja. Also, von der Vergangenheit zur Zukunft ist es nicht nur ein Punkt. Es ist eine Strecke, die ich spüren muss – wo beginnt es, wo endet es. Das ist die Präsenzstrecke, die Wiederholung der Präsenzstrecke, oder ein Gegensatz: eine Strecke, die keine Wiederholung ist, dies sind die zwei Gesetze über die Präsenzstrecke.

Aber dann gehen wir weiter: Was eigentlich ist eine Einheit, eine Einheit der musikalischen Logik? Wenn wir immer wiederholen, dass können wir nicht eine Einheit haben. Wie wiederholen und wiederholen weiter und weiter, und wir wissen nicht, wo es endet. Oder: ich kann, sagen wir A, dann B, dann C, D, E, F und so weiter, eine Reihe von Verschiedenheit haben, das ist auch nichts. Ja, die Bewegung lebt als Bewegung, aber nicht als Bewegungseinheit.

S: Also nicht in einer musikalischen Logik.

B: Genau! Wann kommt die musikalische Logik? Wenn wir eine Einheit von Bewegung haben! Und, wie kann ich das bestimmen: Zuerst bestimmt ABA. Wir haben einen Anfang, dann haben wir etwas anderes, und dann etwas, das wiederholt. Nur, diese da-capo-Form ist eigentlich nicht die beste Lösung für Musik, wenn wir weitermachen wollen.

Das heißt, für große Formen, eine Sonatenform, das ist ein ABA, oder so etwas, das ist für große Formen. Die großen Formen haben aber bestimmte kleinere Einheiten. Diese haben wieder kleinere Formen. Nur wenn ich wieder ABA habe, kommt es zum Schluss. Die musikalische Energie bleibt geschlossen.

Also, es gibt musikalische Formen, die besser dafür bestimmt sind, weiterzugehen. Was denn? Zum Beispiel wenn ich nehme: AAB. Da habe ich eine Einheit. Da habe ich Wiederholung und Verschiedenheit und am Ende des B sage ich: Ja, jetzt ist eine Einheit, es ist schon geschehen, aber ich spüre, ich will weitergehen, es ist eine offene Form, also im Gegensatz zur vollendeten Form ABA, ist dies eine Form, die weitergeht. Das ist die Form, die die Meistersinger Bar-Form genannt haben. Stollen-Stollen-Abgesang.

S: Wie in der Dichtung.

B: Ja, wie in der Minnesänger-Dichtung, da ist alles in der Bar-Form. Und das ist eigentlich die beste Form, denn unter der großen Form müssen die kleinen Formen ein Weitergehen ermöglichen. Der Bar ist die beste Form, um weiterzugehen.

Also, jetzt haben wir ein anderes Gesetz: von der großen kann ich zur kleinen Form gehen, und retour, das heißt Potenzierung oder die Ramifizierung, also Verästelung, Zergliederung.

Ich kann entweder so oder so gehen, aber das ist immer ein Gesetz. Potenzierung – Ramifizierung.

Und dann, das ist eine Form. Es gibt auch noch eine andere Form, ABB. Das ist ein Gegenbar: Aufgesang, 1. Nachstollen, 2. Nachstollen. Das ist auch eine Form, die weitergeht. Also, jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich eine komplexe Form, eine musikalische Entwicklung, eine entwickelte Form sich bauen kann.

Nehmen wir zum Beispiel das Allegro: Was bemerkst Du in den ersten 18 Takten?

S: Ich sehe, das zuerst die 1. Violinen das Thema haben.

B: Ja, nur sage ich, zuerst nicht bemerken, was die 1. Violine macht. Zuerst abstrahieren, abstrahiert denken, nicht 1. Violine, Horn etc. Das ist, wie sagt man, ein Zufall. Zum Beispiel, hier geschieht dasselbe im Cello. Aber die Form ist dieselbe.

Also, Du musst sehen, was wesentlich ist. Wesentlich ist das: Dass vier Takte eine Einheit bauen, eine Strecke, die ich erfassen kann (singt), da kommt ein Komma, nicht wahr, dann, im 5. Takt, gibt es eine Wiederholung, nicht auf derselben Harmonie, auch wieder vier Takte, ah! Also: wir bemerken, dass die Zeichen nur die Töne übersetzen, nur die Klänge, aber nicht das, was wesentlich ist; nämlich die Kraft der Töne, ihr Sich-Entwickeln. Das können uns die Zeichen nicht geben. Das muss ich über und unter die Zeichen denken, was fehlt in der Notierung? Partitur ist nur ein Notfall, ich schreibe das, um die Bewegung zu fixieren, aber die Bewegung selber kann ich nicht schreiben, da ich diese Bewegung wieder selbst bauen muss, erst wieder entdecken muss.

Aber Du kannst mir sagen: aber das ist nicht dasselbe. Vielleicht manchmal, aber ich muss die Symmetrie als lebendige Symmetrie, nicht als mechanische Symmetrie denken.

Also, was bemerke ich? Was als Takt geschrieben ist, ist nur eine Konvention, die Takte sind nicht gleich. Der erste Takt ist schwerer als die anderen. Nicht wahr, also die Takte ordnen sich unter. Und weiter, für vier Takte dasselbe, das ist so wie Vordersatz und Nachsatz. Aber das bleibt nicht, es bleibt geöffnet. Und jetzt, um einen Punkt zu machen, kommt dazu diese Komprimierung. Sechs Takte. Und was bemerkst Du, in diesen …

S: Ich habe eine Frage. Sind das nicht zwei und dann vier Takte?

B: Nein, zuerst sind es vier Takte, das ist der 1. Stollen, so als wie es ein Vordersatz wäre, dann kommt weiter der 2. Stollen, wie ein Nachsatz, und jetzt kommt etwas längeres, das ist (Abspaltung, Verkürzung) der Abgesang. Und das schließt relativ, warum, weil diese Form macht mir zwar den Eindruck, geschlossen zu sein, aber nur relativ, man erwartet das Weiter, dass es weiterführt.

Genauso hier (die nächste Stelle), also jetzt siehst Du, es funktioniert das Gesetz. Die größere Form unterteilt sich in die kleineren Formen. Und daraus entsteht diese Gliederung, wie in dem Baum.

S: Das ist schön!

B: Was hast Du jetzt? Jetzt hast Du ein ganz anderes Formgefühl als nur das der Beschreibung. Ganz anders. Jetzt, wenn ich einen Fluss sehe, sehe ich den Fluss, aber wenn ich mich in dem Fluss bewegen kann, kann ich darin schwimmen. Das ist anders.

S: Ja, das fügt sich jetzt zusammen.

B: Jetzt hast Du das Gesetz der Bewegung entdeckt, und dieses Gesetz kannst Du in Dir selbst wiederbauen. Das kannst Du (singt) in der Körperbewegung genau wiederholen, um zu objektivieren, um die Bewegung zu objektivieren. Da hast Du etwas gelernt.

Und noch dazu: In der Partitur steht ein Bild von der äußeren Welt. Die Welt, sich entwickelnd in Tönen, kommt statt der Weltexistenz. Aber, Welt können wir nicht fassen, wenn wir nicht selbst als Subjekt da sind. Also, hier ist ein großer Fehler in der Musikerziehung. „Partitur, das ist Objekt!“ Alles Objekt, nichts von Subjekt! Nur das was steht! Das ist falsch. Die Welt perzepieren wir als Subjekt. Ich bin in der Welt ein Wesen, das die Welt perzepiert. Aber dafür muss ich zuerst ICH sein. Also, jetzt habe ich Dir die Möglichkeit gegeben, Dich zuerst als Subjekt zu fassen, ha! – ich selbst fühle, zuerst; ich baue es, und von diesem Bau komme ich wieder zur Partitur, die jetzt lebendig erscheint.

Als Wiederbau von Deiner Seele, seelischen Empfindung, seelischen Erlebnisses, ERLEBNIS!, das ist sehr wichtig! Ohne Erlebnis gibt es überhaupt keine Kunst!

Jemand fragte einen Musiker: „Was dirigiert er?“ – „Was er dirigiert, weiß ich nicht, wir spielen die 5. Beethoven.“ So ist das. Er dirigiert, aber er dirigiert nicht etwas Lebendiges.

Also, jetzt geh weiter, ganz neu!

S: Es ist so einfach, und macht die Dinge so klar.

B: Und jetzt kommt was! Das ist jetzt nicht wichtig, die Celli, usw. Dasselbe kommt, aber anders verteilt, und hier am Ende ist es ein wenig anders.

S: Um weiterzugehen.

B: Ja, und das ist nicht wesentlich, wesentlich ist die energetische Symmetrie. Ich habe dasselbe Gefühl vom Willen der Energie.

S: Dieselbe Form.

B: Genau. Das Wesentliche ist Dasselbe. Nicht zuerst an das Detail denken. Zuerst, was Detail ist, in Parenthese lassen. Und von dem Abstrahieren das Wesentliche. Das Wesentliche vom Energiestrom ist genau dasselbe. Und jetzt, was erwartet man? Das war hier ein Stollen, hier ein zweiter großer Stollen, es muss nun der Abgesang kommen. Und der muss auch wieder eine Form haben. Nicht genau dasselbe, (singt), und wo hast Du das Gefühl, dass etwas zu Ende ist?

Zuerst ist es bis hier… Hier dieser Takt, und da fängt etwas Neues an. Hier ist die große Strecke zu Ende, die Logik; also: ich kann die Vergangenheit sein lassen und meine Aufmerksamkeit geht zu etwas Neuem, Neugeborenem. Jetzt kann ich mich befreien und ich kann mit der neuen Kraft vorangehen. Das ist die Logik des Aufbaus der musikalischen Realität, der musikalischen Wirklichkeit. Das ist eine Wirklichkeit.

Also, und jetzt…

S: Aber es ist ein ganz anderer Begriff von Logik. Es hat mit Logik im hergebrachten Sinn eigentlich nichts zu tun.

B: Der mathematische Begriff von Logik führt zu – Es war in Griechenland ein Philosoph Xenon, der wollte zeigen, dass diese mathematische Logik für Bewegung nicht geeignet ist. Und er hat gesagt: ja, eigentlich, zwischen der Kröte und Achilles, die Kröte ist nie so schnell wie Achilles, aber wie kann Achilles die Kröte überholen, warum? Wenn die Kröte hier ist, und Achilles dort, wenn Achilles einen Schritt macht, macht die Kröte einen Hauptschritt, Achilles macht einen Achtelschritt, die Kröte macht einen Sechzehntelschritt usw, und nie kann er überholen. Die Bewegung kann ich nicht so teilen wie Zeit und Raum. Zeit und Raum kann ich teilen, Bewegung kann ich nicht teilen.

In Wahrheit denken wir nicht in mathematischer Logik. Wir denken in dialektischer, rhythmischer Logik. Unsere Kraft ist, immer zu entdecken, was die Kraft der Bewegung ist.

Weil, etwas kann ich tun: Die Bewegung geht weiter und wiederholt sich nicht. Aber ich kann diese historische Bewegung wieder aufnehmen und jetzt durch meine Gedanken genauer wissen, wie sie sich teilt.

Also habe ich die Möglichkeit der Wiederholung der Bewegung. Das ist die große Kraft des Dirigenten. Er nimmt einen Lauf, der als ununterbrochen gedacht ist, aber er kann wiederholen. Also, um hierher zu kommen, kann ich hundertmal unterbrechen und wiederholen und üben, bis ich die Bewegung in ihrer Einheit beherrsche. Eine ununterbrochene Einheit.

Das ist ein Geheimnis des Dirigenten. Der Musiker weiß es nicht, er leist nur seine Stimme. Aber er verlangt vom Dirigenten, dass der Dirigent die Richtung gibt. Er will eine Richtung haben, den, der die Fahne trägt, sonst ist er verloren.

Das geht einmal durch meine Kraft des Gedächtnisses, dann durch mein Herz – das ist auch sehr wichtig, nicht wahr! – dann der Körper, der ist auch sehr wichtig, verstehst Du, das ist auf drei verschiedenen Ebenen gebaut. Aber zuerst muss ich das durch meine Gedanken beherrschen. Ich beginne nicht mit dem Herz. Es ist sehr wichtig, das Herz, nur, ohne diese Gedankeneinrichtung ist es verloren. Und dann am Schluss, der Wille. Durch den Willen führe ich. Jetzt siehst Du schon, dass meine Unterrichtsweise eine systematische ist. Du weißt bei jedem Schritt, wo Du bist, und wohin Du Dich orientieren musst.

Jetzt arbeite ich nur die Gedanken. Dann arbeite ich meine Gefühle. Dann arbeite ich an der Ansicht meiner Interpretation, das ist der Wille.

Ja, jetzt machen wir einen Schritt, und schauen, was ist (singt, Mozart 39, 1, T 54)… und jetzt (singt). Siehst Du, dieser Takt wiederholt diesen Takt, nicht wahr.

S: Ah, Sie meinen…

B: Zum ersten Male sind es drei Takte; also einen Stollen von drei Takten, zweiter Stollen mit zwei Takten, und noch mal einen Abgesang mit zwei Takten. Und dann beginnt eine neue Phrase. Jetzt kommt (singt ab T 61),.., T 59 das bleibt offen, das ist 1St (3), 2St (2), Abg(2) – wieder drei Takte (singt), hier sind ein Aufgesang von 7 Takten, 1 NSt (5) und 2 NSt (5), jetzt haben wir eine andere Form. Hier, ab T61, warum ist das so, ist es zusammen, in diesen drei Takten sind die zwei Stollen zusammen

S: enggeführt

B: enggeführt, ja, nicht wahr. Das ist (1+1)+1 jetzt: was geschieht? Ich kann das schon beherrschen! (singt ab T54). Ja.

Also, was bemerkst Du: Ich weiß nicht genau die Noten, aber ich beherrsche das Wichtige: die Bewegung. Die Logik der Bewegung. Das was es zusammenhält.

S: und weiterführt…

B: …das ist sehr viel wichtiger. Also, wir beginnen immer, wenn wir in die Partitur schauen, sofort: die Partitur ist nur etwas Äußerliches, ich muss selber aus der Partitur finden, was wichtig ist: als Energie, als Bewegung, als Verbindung und Logik. Ich beginne nicht mit dem Detail, das kommt danach. Zuerst muss ich die Verbindung, die Einheit, die Ganzheit haben. Sonst verwirkliche ich nicht. Also, vielleicht willst Du weitersehen.

S: Unbedingt.

B: Das war das erste Thema. Jetzt kommt das zweite Thema. Aber, er ist noch nicht in der Lage, das zweite Thema zu machen, weil er noch in Es-Dur ist.

S: Er muss modulieren.

B: Ja, das heißt, jetzt kommt eine Überleitung, nicht schon das zweite Thema.

Jetzt: Alles was in der Musik ist, hat eine Form. Es gibt es nicht ohne Form. Nur die Musik, die die Narren machen, hat keine Form. Aber wir, wir haben die Form notwendig als Bestätigung, dass uns da immer die Logik führt. Der Dirigent sucht nicht die Schönheit, er sucht die Wahrheit. Zuerst. Ja, am Ende kommt dann auch die Schönheit.

S: Die ist erst das Ergebnis der Wahrheit.

B: Aber ohne Wahrheit gibt es keine Schönheit. Der Dirigent muss immer der Besitzer der Wahrheit sein. Er ist tätig nur weil er die Wahrheit hält. Zuerst die Wahrheit. Die Wahrheit der Gedanken, die Wahrheit im Herz, die Wahrheit von dem, was Bedeutung hat. Das sind drei Wahrheiten ineinander, aber die sind Wahrheit.

Und nun, suche die Wahrheit der Gedanken. Also, was kommt hier: (singt ab T70)

S: …da sind wir in B-Dur

B: Ja, jetzt sind wir in B-Dur. Also jetzt müssen wir beobachten, was der Weg ist; durch Modulation etc., erst Es, dann B, dann g…. und jetzt ist er in B.

S: Aber noch nicht bestätigt.

B: Ja, ich möchte noch die Kadenz haben. Und hier die Dominante von B usw. Also, was ist geschehen: Erst ein Teil ein Stollen von acht Takten in Es, ein weiterer Stollen, dann der Abgesang von 6 und 4xR2. Das kommt von irgendwo, und dann kommt das zweite Thema, usw. Aber jetzt geh nicht weiter, obwohl Du sehr neugierig bist.

S: ich kann jetzt selber weitergehen.

B: ja, das ist viel Mühe. Aber, das wirst Du selbst finden. Da kommt zuerst als Einheit die Exposition. Dann die Durchführung. Das ist der Mittelsatz. Da musst Du die Form finden.

Ja, jetzt gehen wir weiter, weil Du musst nicht nur die Form lernen, also jetzt kommt etwas Wichtiges: Diese Form musst Du als Willen erreichen. Irgendwo: wie kann ich die Musik – Schopenhauer sagt: Wille – aber den Willen kann ich nicht beherrschen, nur wenn ich die Vorstellung des Willens habe, und die Möglichkeit, meinen eigentlichen Willen zu unterstützen. Ach, ich spreche so schlecht Deutsch…!

S: Nein, ganz und gar nicht, sehr gut!

B: Ich habe seit langem nicht mehr die deutsche Sprache benutzt.

S: Aber es ist sehr gut.

B: Also, jetzt muss ich die Möglichkeit finden, das in ein Subjekt zu übersetzen, das diesen Willen trägt. Das Subjekt muss sich zeigen als der, der die Wirklichkeit dieser Bewegung in die Bewegung des Körpers überträgt, macht. Und das kommt nicht so einfach. Das ist nur ein kleiner Stein, ein Anfang. Aber das Wichtigste. Wenn Du das nicht von Anfang an baust, dann kannst Du nicht weitergehen. Oder wie ein Bergsteiger. Schon von Anfang an bist Du nicht vorbereitet. Nun, wie kannst Du – das ist wieder eine Steigerung: nur mit eigentlichem Willen. Ich bin selbst allein mit der Partitur. Nichts weiter. Nicht mit Orchester, nicht mit Interpretation, nur Partitur. Aber: ich muss selbst da sein. Also, das ist wieder ein Bergsteigen. Es ist eine Spirale, nur so können wir den Berg besteigen. Das ist nur der erste Schritt, aber der ist sehr wichtig. Wie hat es begonnen: (zeichnet).

Skizze von Constantin Bugeanu zu den spiralischen Schritten des Partiturstudiums, ©joergbierhance

Gut, hier habe ich die Form entdeckt. Ich weiß den Weg, aber ich weiß nicht, was ich will. Das ist wie, nachdem ich eine Weltkarte beherrsche, dann muss ich selbst noch die Straße finden, die Adresse. Ich führe meinen Weg. Das heißt, ich muss das Subjekt, wie kann ich diese Formen – das ist noch kein Subjekt – ich muss selbst als Subjekt das beherrschen. Das heißt: Form, das ist im Raum, auch in der Partitur. Das hilft noch nicht. Ich muss die Partitur in den Strom, den Fluss übersetzen. Ich erlebe nur als Strom die Partitur. Ich kann es so anschauen, aber das ist nicht Erlebnis. Es ist wohl Erlebnis, aber nicht musikalisches Erlebnis. Verstehst Du?

S: Natürlich.

B: Das ist ein Erlebnis der Musikwissenschaftler, aber ich muss das musikalische Erlebnis entdecken, das meiner eigenen Psyche, meiner eigenen Seele und psychischen Kraft. Dann, nur dann entwickelt sich ein Strom, der auch als Strom geht, als eine Linie. Also, das heißt, ich muss irgendwo in der Musik eine Bestätigung entdecken, die mir sagt, dies ist der Weg, der Dich führt. Und das hat Wagner „Melos“ genannt. Melos, das ist so ein Fluss, aber nicht ein melodischer.

S: Eher harmonisch bedingt, oder?

B: Sagen wir so: wenn wir Wörter suchen, dann können wir nicht das Wichtige finden.

Eigentlich: durch Worte können wir etwas beschreiben, aber das Wesentliche ist das: Melos ist ein Fluss. Das heißt, es gibt mir die Möglichkeit zu singen, oder zu folgen usw., aber nur in einem Fluss. Er ist nicht nur melodisch, aber es geschieht so wie in der Melodie, als Fluss. Dass es nicht nur melodisch ist, kannst Du schon in einer Mozart-Symphonie zeigen.

Hier: Der Fluss ist so. (singt etwas aus der g-moll-Symphonie) Hier ist ein Zwischenspiel. Das ist schwer, in einen Fluss zu übersetzen. Die Melodie ist mehr eine Harmonie, der Fluss ist hier und hier. Ich kann dem Melos nur als Harmonie folgen. F-moll, B-Dur, D-Dur, etc., ich dirigiere die Folge der Harmonie. Es kann auch eine rhythmische Folge sein. Denn die Formkräfte sind eigentlich gleich, Melodie, Harmonie und Rhythmus. Also, ich kann nach Bedarf wählen, was wichtig ist, um im Ganzen in einem Fluss diese Kraft zu repräsentieren.