Im Juni 1996
B: Nun zur Form. Der Entdecker ist ein Deutscher, ein großer Musikwissenschaftler und auch Dirigent, Alfred Lorenz. Er hat das in den Opern von Richard Wagner entdeckt. Also, die Prinzipien, aber er hat sie nicht erweitert. Ich habe diese Prinzipien über die ganze symphonische Musik erweitert. Und ich habe entdeckt dass diese Prinzipien, bzw. erneuert, dass diese Prinzipien für die ganze Musik gültig sind. Sie sind eigentlich das Wesentliche der Logik der Musik. Das heißt: Ich halte eine Analyse, die nur beschreibt, für nicht wertvoll. Sinnlos, aber sehr oft gemacht. Schaue Markevic, seine Bücher über die Beethoven Symphonien. Er macht sehr ordentliche Analysen, nur es fehlt das Wesentliche. Was glaubst Du, ist das Wesentliche?
S: Ich glaube, die Verbindung zwischen den Teilen.
B: Was meinst Du mit den Teilen?
S: Zum Beispiel, wie wir es das letzte Mal besprochen haben. Ich habe ein Element A und ein Element A in einer anderen Tonart, und dann noch mal, dann ein Element B, aber dann ist das Wesentliche, glaube ich, die Verbindung, wie diese Teile –
B: – sich zeitlich verbinden zu einer energetischen Kraft.
S: Ja, und…
B: Das heißt, nicht nur die Musik, die da ist, Musik kommt mit einer Kraft, die uns zwingt, weiterzugehen. Das ist die energetische Kraft. Und das macht das Wesen der musikalischen Logik. Und, diese musikalische Logik ist nicht die aristotelische Logik, die gewöhnliche. Die ist eine Logik für Bewegung. Weil Musik in erster Linie Bewegung ist.
Also, Bewegung können wir nicht halten, nicht, wir können nur durch Bewegung eine andere Bewegung übersetzen, aber wir können das Wesentliche der musikalischen Bewegung bestimmen und etwas finden, das gültig und äquivalent für diese energetische Bewegung ist. Und jetzt: das Wesentliche ist dies: die Bewegung drängt immer darauf, weiterzugehen. Da sind ewige Gesetze der Bewegung, welche? Das wissen wir!
Erstens, die Wiederholung – jetzt müssen wir sagen: um das Wesentliche der Bewegung zu beherrschen, müssen wir um die Präsenz kämpfen.
S: Dass sich die Präsenz zeigt als Verbindung zwischen Vergangenem und Zukünftigem.
B: Das ist nicht nur ein Punkt, sondern eine Strecke, eine Präsenzstrecke.
S: Die vom Vergangenen zur Zukunft führt.
B: Ja. Also, von der Vergangenheit zur Zukunft ist es nicht nur ein Punkt. Es ist eine Strecke, die ich spüren muss – wo beginnt es, wo endet es. Das ist die Präsenzstrecke, die Wiederholung der Präsenzstrecke, oder ein Gegensatz: eine Strecke, die keine Wiederholung ist, dies sind die zwei Gesetze über die Präsenzstrecke.
Aber dann gehen wir weiter: Was eigentlich ist eine Einheit, eine Einheit der musikalischen Logik? Wenn wir immer wiederholen, dass können wir nicht eine Einheit haben. Wie wiederholen und wiederholen weiter und weiter, und wir wissen nicht, wo es endet. Oder: ich kann, sagen wir A, dann B, dann C, D, E, F und so weiter, eine Reihe von Verschiedenheit haben, das ist auch nichts. Ja, die Bewegung lebt als Bewegung, aber nicht als Bewegungseinheit.
S: Also nicht in einer musikalischen Logik.
B: Genau! Wann kommt die musikalische Logik? Wenn wir eine Einheit von Bewegung haben! Und, wie kann ich das bestimmen: Zuerst bestimmt ABA. Wir haben einen Anfang, dann haben wir etwas anderes, und dann etwas, das wiederholt. Nur, diese da-capo-Form ist eigentlich nicht die beste Lösung für Musik, wenn wir weitermachen wollen.
Das heißt, für große Formen, eine Sonatenform, das ist ein ABA, oder so etwas, das ist für große Formen. Die großen Formen haben aber bestimmte kleinere Einheiten. Diese haben wieder kleinere Formen. Nur wenn ich wieder ABA habe, kommt es zum Schluss. Die musikalische Energie bleibt geschlossen.
Also, es gibt musikalische Formen, die besser dafür bestimmt sind, weiterzugehen. Was denn? Zum Beispiel wenn ich nehme: AAB. Da habe ich eine Einheit. Da habe ich Wiederholung und Verschiedenheit und am Ende des B sage ich: Ja, jetzt ist eine Einheit, es ist schon geschehen, aber ich spüre, ich will weitergehen, es ist eine offene Form, also im Gegensatz zur vollendeten Form ABA, ist dies eine Form, die weitergeht. Das ist die Form, die die Meistersinger Bar-Form genannt haben. Stollen-Stollen-Abgesang.
S: Wie in der Dichtung.
B: Ja, wie in der Minnesänger-Dichtung, da ist alles in der Bar-Form. Und das ist eigentlich die beste Form, denn unter der großen Form müssen die kleinen Formen ein Weitergehen ermöglichen. Der Bar ist die beste Form, um weiterzugehen.
Also, jetzt haben wir ein anderes Gesetz: von der großen kann ich zur kleinen Form gehen, und retour, das heißt Potenzierung oder die Ramifizierung, also Verästelung, Zergliederung.
Ich kann entweder so oder so gehen, aber das ist immer ein Gesetz. Potenzierung – Ramifizierung.
Und dann, das ist eine Form. Es gibt auch noch eine andere Form, ABB. Das ist ein Gegenbar: Aufgesang, 1. Nachstollen, 2. Nachstollen. Das ist auch eine Form, die weitergeht. Also, jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich eine komplexe Form, eine musikalische Entwicklung, eine entwickelte Form sich bauen kann.
Nehmen wir zum Beispiel das Allegro: Was bemerkst Du in den ersten 18 Takten?
S: Ich sehe, das zuerst die 1. Violinen das Thema haben.
B: Ja, nur sage ich, zuerst nicht bemerken, was die 1. Violine macht. Zuerst abstrahieren, abstrahiert denken, nicht 1. Violine, Horn etc. Das ist, wie sagt man, ein Zufall. Zum Beispiel, hier geschieht dasselbe im Cello. Aber die Form ist dieselbe.
Also, Du musst sehen, was wesentlich ist. Wesentlich ist das: Dass vier Takte eine Einheit bauen, eine Strecke, die ich erfassen kann (singt), da kommt ein Komma, nicht wahr, dann, im 5. Takt, gibt es eine Wiederholung, nicht auf derselben Harmonie, auch wieder vier Takte, ah! Also: wir bemerken, dass die Zeichen nur die Töne übersetzen, nur die Klänge, aber nicht das, was wesentlich ist; nämlich die Kraft der Töne, ihr Sich-Entwickeln. Das können uns die Zeichen nicht geben. Das muss ich über und unter die Zeichen denken, was fehlt in der Notierung? Partitur ist nur ein Notfall, ich schreibe das, um die Bewegung zu fixieren, aber die Bewegung selber kann ich nicht schreiben, da ich diese Bewegung wieder selbst bauen muss, erst wieder entdecken muss.
Aber Du kannst mir sagen: aber das ist nicht dasselbe. Vielleicht manchmal, aber ich muss die Symmetrie als lebendige Symmetrie, nicht als mechanische Symmetrie denken.
Also, was bemerke ich? Was als Takt geschrieben ist, ist nur eine Konvention, die Takte sind nicht gleich. Der erste Takt ist schwerer als die anderen. Nicht wahr, also die Takte ordnen sich unter. Und weiter, für vier Takte dasselbe, das ist so wie Vordersatz und Nachsatz. Aber das bleibt nicht, es bleibt geöffnet. Und jetzt, um einen Punkt zu machen, kommt dazu diese Komprimierung. Sechs Takte. Und was bemerkst Du, in diesen …
S: Ich habe eine Frage. Sind das nicht zwei und dann vier Takte?
B: Nein, zuerst sind es vier Takte, das ist der 1. Stollen, so als wie es ein Vordersatz wäre, dann kommt weiter der 2. Stollen, wie ein Nachsatz, und jetzt kommt etwas längeres, das ist (Abspaltung, Verkürzung) der Abgesang. Und das schließt relativ, warum, weil diese Form macht mir zwar den Eindruck, geschlossen zu sein, aber nur relativ, man erwartet das Weiter, dass es weiterführt.
Genauso hier (die nächste Stelle), also jetzt siehst Du, es funktioniert das Gesetz. Die größere Form unterteilt sich in die kleineren Formen. Und daraus entsteht diese Gliederung, wie in dem Baum.
S: Das ist schön!
B: Was hast Du jetzt? Jetzt hast Du ein ganz anderes Formgefühl als nur das der Beschreibung. Ganz anders. Jetzt, wenn ich einen Fluss sehe, sehe ich den Fluss, aber wenn ich mich in dem Fluss bewegen kann, kann ich darin schwimmen. Das ist anders.
S: Ja, das fügt sich jetzt zusammen.
B: Jetzt hast Du das Gesetz der Bewegung entdeckt, und dieses Gesetz kannst Du in Dir selbst wiederbauen. Das kannst Du (singt) in der Körperbewegung genau wiederholen, um zu objektivieren, um die Bewegung zu objektivieren. Da hast Du etwas gelernt.
Und noch dazu: In der Partitur steht ein Bild von der äußeren Welt. Die Welt, sich entwickelnd in Tönen, kommt statt der Weltexistenz. Aber, Welt können wir nicht fassen, wenn wir nicht selbst als Subjekt da sind. Also, hier ist ein großer Fehler in der Musikerziehung. „Partitur, das ist Objekt!“ Alles Objekt, nichts von Subjekt! Nur das was steht! Das ist falsch. Die Welt perzepieren wir als Subjekt. Ich bin in der Welt ein Wesen, das die Welt perzepiert. Aber dafür muss ich zuerst ICH sein. Also, jetzt habe ich Dir die Möglichkeit gegeben, Dich zuerst als Subjekt zu fassen, ha! – ich selbst fühle, zuerst; ich baue es, und von diesem Bau komme ich wieder zur Partitur, die jetzt lebendig erscheint.
Als Wiederbau von Deiner Seele, seelischen Empfindung, seelischen Erlebnisses, ERLEBNIS!, das ist sehr wichtig! Ohne Erlebnis gibt es überhaupt keine Kunst!
Jemand fragte einen Musiker: „Was dirigiert er?“ – „Was er dirigiert, weiß ich nicht, wir spielen die 5. Beethoven.“ So ist das. Er dirigiert, aber er dirigiert nicht etwas Lebendiges.
Also, jetzt geh weiter, ganz neu!
S: Es ist so einfach, und macht die Dinge so klar.
B: Und jetzt kommt was! Das ist jetzt nicht wichtig, die Celli, usw. Dasselbe kommt, aber anders verteilt, und hier am Ende ist es ein wenig anders.
S: Um weiterzugehen.
B: Ja, und das ist nicht wesentlich, wesentlich ist die energetische Symmetrie. Ich habe dasselbe Gefühl vom Willen der Energie.
S: Dieselbe Form.
B: Genau. Das Wesentliche ist Dasselbe. Nicht zuerst an das Detail denken. Zuerst, was Detail ist, in Parenthese lassen. Und von dem Abstrahieren das Wesentliche. Das Wesentliche vom Energiestrom ist genau dasselbe. Und jetzt, was erwartet man? Das war hier ein Stollen, hier ein zweiter großer Stollen, es muss nun der Abgesang kommen. Und der muss auch wieder eine Form haben. Nicht genau dasselbe, (singt), und wo hast Du das Gefühl, dass etwas zu Ende ist?
Zuerst ist es bis hier… Hier dieser Takt, und da fängt etwas Neues an. Hier ist die große Strecke zu Ende, die Logik; also: ich kann die Vergangenheit sein lassen und meine Aufmerksamkeit geht zu etwas Neuem, Neugeborenem. Jetzt kann ich mich befreien und ich kann mit der neuen Kraft vorangehen. Das ist die Logik des Aufbaus der musikalischen Realität, der musikalischen Wirklichkeit. Das ist eine Wirklichkeit.
Also, und jetzt…
S: Aber es ist ein ganz anderer Begriff von Logik. Es hat mit Logik im hergebrachten Sinn eigentlich nichts zu tun.
B: Der mathematische Begriff von Logik führt zu – Es war in Griechenland ein Philosoph Xenon, der wollte zeigen, dass diese mathematische Logik für Bewegung nicht geeignet ist. Und er hat gesagt: ja, eigentlich, zwischen der Kröte und Achilles, die Kröte ist nie so schnell wie Achilles, aber wie kann Achilles die Kröte überholen, warum? Wenn die Kröte hier ist, und Achilles dort, wenn Achilles einen Schritt macht, macht die Kröte einen Hauptschritt, Achilles macht einen Achtelschritt, die Kröte macht einen Sechzehntelschritt usw, und nie kann er überholen. Die Bewegung kann ich nicht so teilen wie Zeit und Raum. Zeit und Raum kann ich teilen, Bewegung kann ich nicht teilen.
In Wahrheit denken wir nicht in mathematischer Logik. Wir denken in dialektischer, rhythmischer Logik. Unsere Kraft ist, immer zu entdecken, was die Kraft der Bewegung ist.
Weil, etwas kann ich tun: Die Bewegung geht weiter und wiederholt sich nicht. Aber ich kann diese historische Bewegung wieder aufnehmen und jetzt durch meine Gedanken genauer wissen, wie sie sich teilt.
Also habe ich die Möglichkeit der Wiederholung der Bewegung. Das ist die große Kraft des Dirigenten. Er nimmt einen Lauf, der als ununterbrochen gedacht ist, aber er kann wiederholen. Also, um hierher zu kommen, kann ich hundertmal unterbrechen und wiederholen und üben, bis ich die Bewegung in ihrer Einheit beherrsche. Eine ununterbrochene Einheit.
Das ist ein Geheimnis des Dirigenten. Der Musiker weiß es nicht, er leist nur seine Stimme. Aber er verlangt vom Dirigenten, dass der Dirigent die Richtung gibt. Er will eine Richtung haben, den, der die Fahne trägt, sonst ist er verloren.
Das geht einmal durch meine Kraft des Gedächtnisses, dann durch mein Herz – das ist auch sehr wichtig, nicht wahr! – dann der Körper, der ist auch sehr wichtig, verstehst Du, das ist auf drei verschiedenen Ebenen gebaut. Aber zuerst muss ich das durch meine Gedanken beherrschen. Ich beginne nicht mit dem Herz. Es ist sehr wichtig, das Herz, nur, ohne diese Gedankeneinrichtung ist es verloren. Und dann am Schluss, der Wille. Durch den Willen führe ich. Jetzt siehst Du schon, dass meine Unterrichtsweise eine systematische ist. Du weißt bei jedem Schritt, wo Du bist, und wohin Du Dich orientieren musst.
Jetzt arbeite ich nur die Gedanken. Dann arbeite ich meine Gefühle. Dann arbeite ich an der Ansicht meiner Interpretation, das ist der Wille.
Ja, jetzt machen wir einen Schritt, und schauen, was ist (singt, Mozart 39, 1, T 54)… und jetzt (singt). Siehst Du, dieser Takt wiederholt diesen Takt, nicht wahr.
S: Ah, Sie meinen…
B: Zum ersten Male sind es drei Takte; also einen Stollen von drei Takten, zweiter Stollen mit zwei Takten, und noch mal einen Abgesang mit zwei Takten. Und dann beginnt eine neue Phrase. Jetzt kommt (singt ab T 61),.., T 59 das bleibt offen, das ist 1St (3), 2St (2), Abg(2) – wieder drei Takte (singt), hier sind ein Aufgesang von 7 Takten, 1 NSt (5) und 2 NSt (5), jetzt haben wir eine andere Form. Hier, ab T61, warum ist das so, ist es zusammen, in diesen drei Takten sind die zwei Stollen zusammen
S: enggeführt
B: enggeführt, ja, nicht wahr. Das ist (1+1)+1 jetzt: was geschieht? Ich kann das schon beherrschen! (singt ab T54). Ja.
Also, was bemerkst Du: Ich weiß nicht genau die Noten, aber ich beherrsche das Wichtige: die Bewegung. Die Logik der Bewegung. Das was es zusammenhält.
S: und weiterführt…
B: …das ist sehr viel wichtiger. Also, wir beginnen immer, wenn wir in die Partitur schauen, sofort: die Partitur ist nur etwas Äußerliches, ich muss selber aus der Partitur finden, was wichtig ist: als Energie, als Bewegung, als Verbindung und Logik. Ich beginne nicht mit dem Detail, das kommt danach. Zuerst muss ich die Verbindung, die Einheit, die Ganzheit haben. Sonst verwirkliche ich nicht. Also, vielleicht willst Du weitersehen.
S: Unbedingt.
B: Das war das erste Thema. Jetzt kommt das zweite Thema. Aber, er ist noch nicht in der Lage, das zweite Thema zu machen, weil er noch in Es-Dur ist.
S: Er muss modulieren.
B: Ja, das heißt, jetzt kommt eine Überleitung, nicht schon das zweite Thema.
Jetzt: Alles was in der Musik ist, hat eine Form. Es gibt es nicht ohne Form. Nur die Musik, die die Narren machen, hat keine Form. Aber wir, wir haben die Form notwendig als Bestätigung, dass uns da immer die Logik führt. Der Dirigent sucht nicht die Schönheit, er sucht die Wahrheit. Zuerst. Ja, am Ende kommt dann auch die Schönheit.
S: Die ist erst das Ergebnis der Wahrheit.
B: Aber ohne Wahrheit gibt es keine Schönheit. Der Dirigent muss immer der Besitzer der Wahrheit sein. Er ist tätig nur weil er die Wahrheit hält. Zuerst die Wahrheit. Die Wahrheit der Gedanken, die Wahrheit im Herz, die Wahrheit von dem, was Bedeutung hat. Das sind drei Wahrheiten ineinander, aber die sind Wahrheit.
Und nun, suche die Wahrheit der Gedanken. Also, was kommt hier: (singt ab T70)
S: …da sind wir in B-Dur
B: Ja, jetzt sind wir in B-Dur. Also jetzt müssen wir beobachten, was der Weg ist; durch Modulation etc., erst Es, dann B, dann g…. und jetzt ist er in B.
S: Aber noch nicht bestätigt.
B: Ja, ich möchte noch die Kadenz haben. Und hier die Dominante von B usw. Also, was ist geschehen: Erst ein Teil ein Stollen von acht Takten in Es, ein weiterer Stollen, dann der Abgesang von 6 und 4xR2. Das kommt von irgendwo, und dann kommt das zweite Thema, usw. Aber jetzt geh nicht weiter, obwohl Du sehr neugierig bist.
S: ich kann jetzt selber weitergehen.
B: ja, das ist viel Mühe. Aber, das wirst Du selbst finden. Da kommt zuerst als Einheit die Exposition. Dann die Durchführung. Das ist der Mittelsatz. Da musst Du die Form finden.
Ja, jetzt gehen wir weiter, weil Du musst nicht nur die Form lernen, also jetzt kommt etwas Wichtiges: Diese Form musst Du als Willen erreichen. Irgendwo: wie kann ich die Musik – Schopenhauer sagt: Wille – aber den Willen kann ich nicht beherrschen, nur wenn ich die Vorstellung des Willens habe, und die Möglichkeit, meinen eigentlichen Willen zu unterstützen. Ach, ich spreche so schlecht Deutsch…!
S: Nein, ganz und gar nicht, sehr gut!
B: Ich habe seit langem nicht mehr die deutsche Sprache benutzt.
S: Aber es ist sehr gut.
B: Also, jetzt muss ich die Möglichkeit finden, das in ein Subjekt zu übersetzen, das diesen Willen trägt. Das Subjekt muss sich zeigen als der, der die Wirklichkeit dieser Bewegung in die Bewegung des Körpers überträgt, macht. Und das kommt nicht so einfach. Das ist nur ein kleiner Stein, ein Anfang. Aber das Wichtigste. Wenn Du das nicht von Anfang an baust, dann kannst Du nicht weitergehen. Oder wie ein Bergsteiger. Schon von Anfang an bist Du nicht vorbereitet. Nun, wie kannst Du – das ist wieder eine Steigerung: nur mit eigentlichem Willen. Ich bin selbst allein mit der Partitur. Nichts weiter. Nicht mit Orchester, nicht mit Interpretation, nur Partitur. Aber: ich muss selbst da sein. Also, das ist wieder ein Bergsteigen. Es ist eine Spirale, nur so können wir den Berg besteigen. Das ist nur der erste Schritt, aber der ist sehr wichtig. Wie hat es begonnen: (zeichnet).
Gut, hier habe ich die Form entdeckt. Ich weiß den Weg, aber ich weiß nicht, was ich will. Das ist wie, nachdem ich eine Weltkarte beherrsche, dann muss ich selbst noch die Straße finden, die Adresse. Ich führe meinen Weg. Das heißt, ich muss das Subjekt, wie kann ich diese Formen – das ist noch kein Subjekt – ich muss selbst als Subjekt das beherrschen. Das heißt: Form, das ist im Raum, auch in der Partitur. Das hilft noch nicht. Ich muss die Partitur in den Strom, den Fluss übersetzen. Ich erlebe nur als Strom die Partitur. Ich kann es so anschauen, aber das ist nicht Erlebnis. Es ist wohl Erlebnis, aber nicht musikalisches Erlebnis. Verstehst Du?
S: Natürlich.
B: Das ist ein Erlebnis der Musikwissenschaftler, aber ich muss das musikalische Erlebnis entdecken, das meiner eigenen Psyche, meiner eigenen Seele und psychischen Kraft. Dann, nur dann entwickelt sich ein Strom, der auch als Strom geht, als eine Linie. Also, das heißt, ich muss irgendwo in der Musik eine Bestätigung entdecken, die mir sagt, dies ist der Weg, der Dich führt. Und das hat Wagner „Melos“ genannt. Melos, das ist so ein Fluss, aber nicht ein melodischer.
S: Eher harmonisch bedingt, oder?
B: Sagen wir so: wenn wir Wörter suchen, dann können wir nicht das Wichtige finden.
Eigentlich: durch Worte können wir etwas beschreiben, aber das Wesentliche ist das: Melos ist ein Fluss. Das heißt, es gibt mir die Möglichkeit zu singen, oder zu folgen usw., aber nur in einem Fluss. Er ist nicht nur melodisch, aber es geschieht so wie in der Melodie, als Fluss. Dass es nicht nur melodisch ist, kannst Du schon in einer Mozart-Symphonie zeigen.
Hier: Der Fluss ist so. (singt etwas aus der g-moll-Symphonie) Hier ist ein Zwischenspiel. Das ist schwer, in einen Fluss zu übersetzen. Die Melodie ist mehr eine Harmonie, der Fluss ist hier und hier. Ich kann dem Melos nur als Harmonie folgen. F-moll, B-Dur, D-Dur, etc., ich dirigiere die Folge der Harmonie. Es kann auch eine rhythmische Folge sein. Denn die Formkräfte sind eigentlich gleich, Melodie, Harmonie und Rhythmus. Also, ich kann nach Bedarf wählen, was wichtig ist, um im Ganzen in einem Fluss diese Kraft zu repräsentieren.