Session 2.2.

B: Ich kann der Musik im Fluss folgen, und ich kann es beherrschen. Ich muss nicht die ganze Musik beherrschen, weil: sie kristallisiert sich als Schicht, die dieses Melos umfasst. Also, wenn ich dieses Melos-Subjetkt besitze, besitze ich noch nicht das Ganze, aber ich habe die Möglichkeit, weiterzugehen.

Also, jetzt muss ich, um weiterzugehen, entdecken, was eigentlich das Subjekt als Eigenes im Menschen vorstellt. Also: meine Eigenes ist (singt etwas) das ist nicht wichtig. Wichtig ist: …. Ich lasse Details beiseite, alles Harmonische, und besitze, und reproduziere nur, was mein Eigenes ist (singt weiter). Dies – singt – oder das – singt – wenn Du willst. Und so weiter.

Das heißt, jetzt muss ich von vorne, von der Form geführt, meinen Melos-Weg finden. Diesen Melos-Weg muss ich singen können. Also nicht nur Melos, sondern auch singen. Ich muss mir selbst dieses Melos korrepetieren, bis ich es beherrsche. Also Autokorrepetition. Und jetzt, wenn ich das korrepetiere, dann muss ich die Noten nennen. Ich habe ein neues Solfège. Willst Du, dass ich es Dir zeige?

S: Ja, sehr gerne.

B: Es ist eigentlich so: Ich nehme c-d-e-f-g-a-h und do-re-mi-fa-sol-la-si. Davon nehme ich die Konsonanten d-r-m-f-g (da ich sonst zwei „s“ habe), l und s. Jetzt kommt etwas Neues: In meinem Solfège kann der Vokal sich ändern. Ich brauche 35 Tonnamen. Warum? Weil es gibt für jeden Ton mit #, b, ## und bb fünf verschiedene Zustände, und sieben mal fünf ist 35. Eigentlich brauche ich nur fünf Vokale. Weil, bei den diatonischen Halbtönen nehme ich denselben Vokal. Fünf Vokale, das ist genau a-e-i-o-u. Jetzt beginne ich.

Skizze des Solfeggio von Constantin Bugeanu, von ihm selber angefertigt, 1996 ©joergbirhance

Da-re-mi-fi-go-lu-sa-da. Ich sage nun: nicht lernen. Singen! Nimm den Bolero, das kennt jedes Kind.

Constantin Bugeanu Audio: Bolero ©joergbirhance

Es gibt viele Dirigenten, die das dirigieren. Durch Singen aber besitzen sie es nicht. Die warten, dass das Orchester singt. Aber als Dirigent muss ich im Stande sein zu singen. Also, singen, das ist notwendig.

Weil: sonst kann ich mich nicht als Subjekt äußern, als der, der diesen Fluss beherrscht. Hast Du das verstanden?

S: Ja.

B: Das muss Du lernen. Jetzt, wie mache ich bei #?

S: Die Konsonanten bleiben dieselben.

B: Ja, die sind wie Brüder. F geht zu go und heißt jetzt fo. Wieder ein diatonischer Halbton.

Constantin Bugeanu Audio: Haydn Paukenschlag-Thema ©joergbirhance

Jedes Kind versteht das!

Und so weiter. Interessant nicht? Das gibt Dir die Möglichkeit, auch die schwierigsten Stellen schnell zu lernen. Schönberg, Bártok, Prokoffiev, das geht so wie Wasser.

Da kannst Du singen, und das ist so schön! Immer kann man singen.

Weiter, jetzt die b’s: du-ra-me-fe-gi-lo-su, siehst Du, dann die Doppel-# und Doppel-b.

Jetzt musst Du lernen, hier, bei Mozart Es-Dur ist es schwer, aber auch nicht so schwer: (Singt) Das ist so schön. Jetzt hast Du das Prinzip des Solfège. Wie gehe ich nun weiter?

Durch Handbewegung, als erste Prüfung der Bewegung meines Körpers. So: Bewegung der Musik – Bewegung der Gedanken – Bewegung des Körpers. Das heißt, es gibt Bewegung im Großen, Bewegung der Gedanken und Bewegung des Körpers.

Gedanken, das ist Rhythmus (im Sinne der geistigen Kraft der Bewegung), das ist Zeitgeschehen. Körper, das ist Raumgeschehen. Nur, im Raum, da gibt es nur geometrische Bewegung. In die Raumbewegung präge ich den Energieverlauf ein. Das heißt, ich dirigiere nicht: 1-2-3 etc., sondern (singt 1. Thema Es-Dur Symphonie mit Phrasierung): so mache ich aus vier Takten eine Takteinheit. Also, ich kann dann aus der Logik der Armbewegung schon die Logik der Bewegung sehen.

Das ist Raum, das ist Zeit; Raum und Zeit sind Fixierungen der Bewegung. Also, im Raum kann ich zeigen (singt und dirigiert Mozart 1. Th Symph 39):

Constantin Bugeanu: Skizze der Dirigierbewegung Mozart Symphonie 39, 1. Satz, Beginn Allegro, T. 26-39
Constantin Bugeanu: Skizze der Form Mozart Symphonie 39, 1. Satz, Beginn Allegro, T. 26-39

Im Raum geschieht durch meine Bewegung – beschreibe ich, nein, übersetze ich in Raumbewegungen, was in der Musikbewegung klingt. Das ist schon etwas sehr Interessantes, nicht wahr? Jetzt hast Du gesehen, dass die Takte nicht gleich sind, sondern sich nach Spannung ordnen. Ich mache Spannungen. Und um Spannungen zu beherrschen, muss ich nicht verkrampft sein. Der Körper muss frei sein vom ganzen Krampf, von allem was stört.

Ich muss also jetzt Übungen machen, damit meine Bewegungen frei von Spannungen sind. ich mache Spannungen, aber in Freiheit der Körperbewegung. Also, ich muss lernen, wie ich meinen Körper üben kann. Mit einem gespannten Arm spüre ich nichts. Das ist zu viel Kraft. Und noch dazu, niemand weiß, wo ich fühle. Aber, wenn es fällt, frei, dann weiß ich und der andere, was kommt. Denn (sehr leise und langsam), die höchste Sache des Dirigenten ist es, etwas in der Zeit früher zu geben als es geschieht. Wenn ich so mache, dann weiß ich schon, was kommt.

S: Der Auftakt.

B: Ja. So sieht man: gleich kommt die Eins. Ich mache die Eins, aber ich weiß, es kommt die Zwei, aber wenn ich so mache, verstehst Du – lacht – das geht nicht.

Ich muss zuerst frei sein. Dann kann ich beobachten, wie der Arm fällt.

Und jetzt, dieses fällt vom Menschen aus, und bezieht sich auf etwas: Das Wichtigste unseres menschlichen Lebens ist die Erde.

S. Die Schwerkraft.

B: Die Erde. Es fällt, aber es fällt zur Erde. Dieses Fallen zur Erde und Freilassen, sich freimachen von der Erde, das ist das größte Gesetz unserer Körperbewegungen. Ich beobachte: Es fällt. Und, was muss ich machen, um diesen Fall zu einem Ende zu bringen? Als Menschen halten wir uns in Beziehung zur Erde. Das heißt für den Arm, dass er so parallel zur Erde ist. Und, wenn er fällt, geht es nicht weiter, irgendwo ist es fertig. Und das muss frei sein. So. Ja, bravo. Hast Du irgendwo gelernt?

S: ein bisschen, ja.

B: Wo?

S: Ich habe bei Celibidache gelernt.

B: Das ist gut. Proportionen hast Du auch gelernt?

S: Habe ich auch gelernt, ja.

B: Jetzt muss ich auch den Taktschlag lernen . Celibidache macht: (schlägt ein Kreuz). Ich mache das auch.

S: Dass der Punkt, auf dem die Bewegung wendet, nicht auf derselben….

B: Das ist falsch bei Celibidache. Einen Punkt gibt es nicht.

S: Ah, ja…

B: Warum? Ich beginne hier…

S: das ist wie in der Zeit, da gibt es keinen Punkt?

B: Ja, es gibt hier keinen Punkt. Es gibt einen Anfangspunkt, wie sagt man, das ist so ein Kompromisspunkt. Wir akzeptieren so einen Punkt, ja, das beginnt hier, aber das (markiert extreme Punkte im Raum) ist auch falsch.

Was Du bei Celibidache gelernt hast, ist für den Anfang gut. Aber jetzt, es ist nicht genügend, nur das, den Schlag zu üben, das ist abstrakt. Jetzt müssen wir das mit Musik machen. Die Verbindung zur Musik, das gehört hier her (zeigt auf die Sprialskizze).

Bleiben wir also hierbei – ist es interessant?

S: Ja, sehr, wirklich sehr. Es ist für mich irgendwie unbeschreiblich.

B: Schaust Du, meine Methode ist nicht weit von Celibidache. Wir sind so wie Brüder. Seins ist auch phänomenologisch, nur ich mache es viel systematischer. Bei Celibidache bleibt irgendwie…

S: im Raum…

B: Ja. Und ich beschäftige mich, und es ist für mich sehr wichtig, dass jeder versteht und auf seine Weise es macht. Also, nehmen wir jetzt wieder diese Einleitung. Machen wir die Form.

Also, zuerst haben wir gesagt, es gibt diese zwei Vorformen. Warum „Vor-„? Weil, das sind eigentlich nicht Einheiten von Musik. Das ist Strophenbau, da ist die 1. Strophe, die 2. Strophe, die 3. Strophe, und so weiter. Das kommt aber unendlich. Nie ist es zu Ende. Wir können ein Ende setzen, aber das ist kein musikalisches Ende. Und es gibt, wie heißt das, Ketten, 1. Abschnitt, 2. Abschnitt, etc.

Jetzt kommen die musikalischen Grundformen. Habe ich Dir schon gesagt, zuerst Bar-Form: 1. Stollen, 2. Stollen und Abgesang. Oder. Gegenbar: Aufgesang, 1. Nachstollen und 2. Nachstollen. Und Bogen, das ist da-capo. Hauptsatz, Mittelsatz und Hauptsatz-Reprise.

S: Der Sonatensatz, ist das eine Bogenform?

B: Die Form; die Menschheit hat die musikalische Form, also eigentlich die unabhängige Form erst im Barock, dann hat die Musik sich als instrumentale Musik entwickelt, zu Tanz, zu Drama, und so weiter, nicht wahr. Also, im Barock hat man die unabhängige musikalische Form entdeckt. Die Musik des Barock kann man durch die Grundformen und unabhängigen Formen, wie sagt man, beherrschen. Dies war aber irgendwie statisch, die konnte keine dramatische Bewegung verkörpern. Dann hat sich die Sonatenform entwickelt. Das ist eigentlich die beste, und das ist eigentlich nicht eine Form, sondern eine historische Entwicklung. Die Sonatenform ist die eigenste Form für Musik. Das ist aber in Verbindung mit Drama, als musikalisch-dramatische Form.

S: Wegen der Kontraste im ersten Teil.

B: Ja, nicht nur deswegen. Sondern man kann der Entwicklung der dramatischen Bewegung folgen, der psychischen usw. Das zeigt sich sofort. Im Barock, das war ein Zeitalter des Dramas. Die Oper im Barock, das ist gar nicht eine Musikform, das ist eine statische Form. Nur durch die Sonatenform konnte die Oper als seelisch-dramatische Entwicklung weitergehen. Man kann sagen, Sonate, das ist als wäre es eine Form, mit Hauptsatz, Mittelsatz und Hauptsatzreprise, aber sie hat sie neu gestaltet. Wir gehen weiter und sprechen im Verlauf weiter – über die Sonatenform muss man immer weiter sprechen. Weil nach dem Barock, ab 1750, da hat sie sich mit den Bach-Söhnen entwickelt, Mannheim, und dann die wienerische Schule, und es findet weiter eine ständige Entwicklung der Sonatenform statt. Aber gehen wir weiter, um zu sehen, wie diese Grundformen sind. Wir können von diesem hier die komplexe Form ableiten. Hier ist ein Bar, und sein Abgesang ist wieder ein Bar, untergeordnet. Wenn wir weitergehen von Bar und Bogen, schließt der Bogen auf untergeordeter Ebene einen Bar ein, usw. Es gibt auch fünfteilige Bogen, Hs1, Ms1, Hs2, Ms2, Hs3.

S: Das ist dann keine Hauptsatz-Reprise?

B: Das sind alles Reprisen. Aber, sagen wir Bruckner, dieser 2. Satz von der 5. Symphonie, siehst Du. Eigentlich hier im 2. Satz ist es so: Hs1, Ms1, Hs2, Ms2, Hs3 und dann noch eine Coda. Nur, das sind Variationen, aber das hier, das ist die Krönung. Also ist es eigentlich wieder ein Bar, Hs1 und Ms1 1. Stollen, Hs2 und Ms2 ist 2. Stollen, und der Rest ist Abgesang.

Diese Gesetze habe ich auf die ganze musikalische Literatur erweitert. Hier habe ich über 300 Analysen, sagen wir, seit Corelli. Das ist eine großer Gewinn für uns. Ich habe Dir gestern gezeigt, ich habe von Kindheit an nicht ein großes Gedächtnis. Ich brauche es nicht. Warum? Mein Gedächtnis, meine Mächte, haben eine Stütze.

Nun, diese wenigen Formen heißen archetypische Formen, Urformen der Bewegung. Alle Bewegungen stützen sich auf diese einige Urformen.

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