Im Juni 1996
Bugeanu: Was ist das Geheimnis des Dirigierstudiums? Die schwierige Frage für die Dirigenten ist, dass jeder Instrumentalist mit seinem Instrument arbeiten kann, beim Dirigent sagt man, das Orchester sei das eigene Instrument des Dirigenten. Man sagt, um Dirigieren zu lernen oder Dirigent zu werden, muss er mit seinem Orchester arbeiten.
Das ist aber nicht richtig. Hier liegt der große Fehler des Dirigierunterrichts.
Wenn man zum Orchester geht, verlangt das Orchester, dass der Dirigent es schon besitzen muss – was besitzen? Den Beruf. Nicht wahr? Den Partiturbesitz und die Möglichkeit zu probieren. Das muss der Dirigent früher, also schon vorher gekonnt haben, bevor er zum Orchester kommt. Eigentlich also ist das Instrument des Dirigenten nicht das Orchester. Es ist sein eigener Körper.
Das Orchester ist nicht sein Instrument, so lange der Dirigent nicht die Kraft besitzt, durch seinen Körper eine Bindung, eine Einheit zum Orchester zu machen. Das heißt, er muss sein eigenes Instrument, seinen Körper, arbeiten, mit allem, was dazu gehört; Gehör, Gedächtnis, Vorstellungskraft usw. Er muss also zu Hause lernen, dies durch verschiedene Arbeiten. Hast Du das verstanden?
Schüler: Ja.
B: Jetzt, beim Orchester ist es so, dass Du eine Partitur bekommst, und in der Partitur ist auch eine Seite, dort ist alles schriftlich festgehalten. Aber das führt Dich schon in die erste Fehlermöglichkeit. Die Partitur steht so als Plan, und die Musik läuft in der Zeit. Also, wie… Du musst alles, was darin steht, besitzen, und Du musst wissen, wie Du mir Dir alleine arbeiten musst, um dieses Instrument zu verstehen, wie es sich als Einheit baut. Davor kannst Du das Gehör als polyphones Gehör haben, den Schlag als polyphonen Schlag, und schon wissen, welches die erste Frage der Probenarbeit ist. Jetzt bist Du im Stand, das Orchester zu verstehen als eine Einheit. Und das ist so:
Ich bin hier als Dirigent, und das Orchester ist dort als zweite Person, und ich kann mit dieser Person arbeiten, so das es meinen Befehl versteht und ausführt.
Also, der zweite Stock ist die Arbeit mit dem Orchester, mit dem Instrument als Musikmaterial. Jetzt kannst Du Dich mit dem dritten Schritt beschäftigen, mit der Interpretation. Denn Du machst nicht nur eine mechanische Arbeit, sondern Du machst eine Interpretation. Und das ist, wie sagt man, eine Miteinanderarbeit, eine Kollaboration.
Jetzt kannst Du Dir vorstellen, wie dieses Bergsteigen ist. Aber Du kannst alles allein zu Hause lernen, Du kannst die Harmonie vorstellen und lernen, das ist alles schrittweise.
Jetzt nehmen wir nur den ersten Schritt. Zuerst muss mein Körper vorbereitet sein, dass er frei von jeder Hemmung und frei von jeder Anstrengung ist. Er muss frei sein, um meinen Willen, meine Intentionalität, zu übertragen. Das ist nicht leicht! Warum?
Sofort macht man falsche Anstrengungen, die Muskeln sind verkrampft, und ich muss lange arbeiten, um den Körper in den Dienst dieser Sache stellen zu können. Und noch dazu: der Körper muss unbewusst sein können.
Jetzt: was heißt hier Schlagtechnik? Viele glauben, Schlagtechnik sei diese geometrische Figur im Raum. Das ist ein großer Fehler. Warum? Die Musik läuft in Bewegung. Musik ist nicht ein Zeit-Geschehen, und nicht ein Raum-Geschehen. Das ist Bewegung. Und, um sich in Bewegung zu setzen, muss ich eine Energie investieren. Also, die Schlagfiguren sind nicht geometrische Figuren, sondern Investitionen von Energie. Die Figuren sind nichts, weil sie nicht die Macht haben, die Musik und die Musiker in Bewegung zu setzen. Und diese Energie muss ich auch selbst entwickeln.
Also, das ist die erste Sache der Erziehung. Die Erziehung der Dirigierbewegung als energetische Bewegung. Das ist ein Kapitel.
Jetzt kommt das zweite Kapitel. Ich bin allein mit der Partitur. Das heißt, die Partitur steht da, aber sie notiert nicht nur Töne. Sie notiert Bewegung. In der Partitur steht alles, was sich auf diese Bewegung bezieht. Es stehen die Zeit und der Raum, weil die Töne im Raum stehen. Also, wenn ich die Partitur nur lese, so, dann besitze ich sie nicht. Und die Partitur muss ich vorstellen, also denken, was die Bewegung ist. Hast Du verstanden?
S: Sicher.
B: Ich muss mit mir selber arbeiten, um zu entdecken, was die Gesetze sind, die diese Bewegung führen. Also, diese Bewegung hat Gesetze, und diese Gesetze sind die Gesetze der Form. Eigentlich ist es nicht nur Form, eigentlich sind es Urgesetze, archetypische Gesetze, Formen der Bewegung.
S: Sind nicht die Formen das Ergebnis der Bewegung?
B: Die Form, das sind einige wenige Modelle, Typen der Bewegung. Denn, die Bewegung, hätte sich, wäre sie tausendfach verschieden, könnte ich sie nicht besitzen. Wenn ich die Bewegung besitzen will, muss ich eine klare Vorstellung der Bewegung haben.
Was sind die Gesetze der Bewegung? Zunächst die Bewegung: In dieser Bewegung kann ich mich fragen, welche Bewegung ich mir vorstelle, und welche besteht. Das kommt von hier und läuft nach der Zukunft.
Was jetzt war, ist in der Vergangenheit und kommt ins Präsens. Nach dem Präsens weiß ich, es kommt eine Zukunft. Und es kommt eine neues Präsens. Was die Zeit ist, ist schwer zu sagen. Aber ich weiß, was vergangen ist. Was Zukunft ist, kann ich mir vorstellen. Aber was ist Präsens? Das ist schwer. Sie sagen, was Präsens ist, ist ein Punkt. Das ist aber nicht wahr. Im Präsens lebe ich nicht nur einen Punkt. Ich lebe eine Zeit, eine Spanne, eine bestimmte Zeit. Du siehst, das ist Präsenz der Zeit. Das was ich – nehmen wir diese 39 (Mozart, Sinfonie Nr. 39); Ich glaube, ich habe es hier (sucht)
Also die Partitur, wie sehe ich sie? Ich muss eine Einheit der Partitur nehmen, die schon in diesem Zeitverlauf als Einheit kommt. Also, das ist nicht nur Punkt, Punkt, und Punkt, und Punkt, und Punkt. Das ist eine Einheit, das sehe ich, das ist in Es. Jetzt kommt eine andere Einheit, die wiederholt das, jetzt auf der Dominante. Und jetzt eine Einheit, die es wiederholt. Das heißt, die Wiederholung ist ein Gesetz der Bewegung. Ohne Wiederholung wäre das nicht möglich, das ist ein Gesetz.
Und das hier, das ist nicht mehr dasselbe, es ist etwas anderes. Ein anderes Gesetz, das der Verschiedenheit. Jetzt habe ich von diesen vier Einheiten eine Einheit, die größer ist. Jetzt kann ich es mir vorstellen von hier bis hier, nicht im Kleinen, aber im Größeren weiß ich es.
Bestimmt lasse ich viele Details beiseite. Aber absichtlich. Weil, wenn ich zuviel Details sehe, kann ich das Große nicht mehr sehen. Also, absichtlich nehme ich von hier, was wichtig ist, das hier ist nur ein Akkord, hier ein anderer, hier ein anderer, und hier löst es sich.
Wichtig ist, das ich diesen verschiedenen Polyphonien nur in einem Fluss nachgehen kann (singt). Was habe ich gemacht? Alles, was in einer Reihe steht, in einen Fluss gebracht. So.
Es ist ein anderes Ansehen der Form und der Analyse. Jedes analysieren wir, aber wichtig ist, dass wir schon einen Lauf besitzen, einen Fluss. Das ist nicht alles, aber ich besitze das Wichtigste. Nach dem kommen die Details. Wann? Wenn Du, nachdem Du Dich selbst vorbereitet hast, zum zweiten Stock kommst, und denkst, jetzt kommt die Harmonie. Aber Du musst die erste Stufe besitzen. Das wird lange dauern, aber es lohnt sich.
Hier gibt es eine Einheit aus Gleichheit und Verschiedenheit. Das ist schon eine Form, AAAB. Weiter, es kommt eine neue. So, hast Du den ersten Schritt im Partiturlesen verstanden?
S: Die Bewegung, die wichtigste Bewegung zu finden, die zur Form führt.
B: Ja. Das hängt davon ab, wie Du findest, was wichtig ist für die Bewegung. Das steht nicht in der Partitur.
S: Nein, überhaupt nicht. Es geht also darum, zu finden, was das Stück als Bewegung zusammenhält.
B: Das ist ein sehr wichtiger Punkt des Studierens. Bewegung kann ich nicht fixieren. Was kann ich tun? In dieser Bewegung selbst mache ich eine Bewegung, eine doppelte Bewegung. Ich besitze die Bewegung, die diese Partitur vorstellt durch meine eigene Bewegung. Und jetzt: es gibt drei Bewegungen. Es gibt die Bewegung der Welt, die Weltbewegung, das in der Partitur, es gibt die Körperbewegung, und die Bewusstseinsbewegung: Ich denke! Mein Denken ist auch Bewegung. Diese Einheit von diesen drei Bewegungen ist das Geheimnis des ersten Schritts der Dirigenten. Es so zu machen, dass diese Bewegungen gemeinsam sind. So, und die Töne kann ich nicht fixieren, ich kann die Bewegung verdoppeln durch andere Bewegungen, aber dann kommt etwas Schwieriges – die Bewegung bezieht sich auf Raum und Zeit.(…) Das muss ich besitzen.
Jetzt kommt die Vorstellung des Musikraumes. Ich kann ihn durch Gehör und Gesang vorstellen. Eigentlich muss ich singen. Nur hören und passiv hören ohne mich selbst, das ist keine Musikfixierung. Das kann man durch Solfeggio, sonst fixiert es sich nicht. Durch mein Solfège kannst Du absolut Denken!
Ich bin müde, machen wir das nächste Mal weiter.